Der offizielle »Dragon Ball Kanon«

Beitrag von Matt @matt@mtyp.in

Wer schon einmal im Netz zum Thema Dragon Ball recherchiert hat, stolperte dabei vermutlich bereits über den Begriff "Kanon" (oder die englische Variante "Canon"), da dieser doch recht häufig von der deutschsprachigen (und englischsprachigen) Fangemeinde verwendet wird. In diesem Zusammenhang werden dann solche Elemente als "Teil des Kanons" oder "kanonisch" verstanden, die (im Gegensatz zu nicht kanonischen Elementen) ein tatsächlicher/offizieller Teil der Dragon Ball-Geschichte seien, von der es nach Ansicht der Personen, die den "Kanon"-Begriff benutzen, anscheinend nur eine "einzig wahre" Version geben dürfe. Aber gibt es überhaupt einen "offiziellen Dragon Ball-Kanon"? Sehen wir uns zur Beantwortung dieser Frage einige Beispiele dafür an, wie der Begriff "Kanon" in der Praxis verwendet wird.


Kanzenshuu.com verwendet "Kanon" in seinem Episoden-Guide als Gegenteil für den Begriff "Filler". Zum "Kanon" würden demnach alle Inhalte aus Akira Toriyamas Dragon Ball-Manga zählen. Umgekehrt wären alle "Filler"-Elemente der Dragon Ball-, Dragon Ball Z- und Dragon Ball Kai-Anime-Umsetzungen (also alle Inhalte, die nicht im Manga vorkommen) automatisch nicht Teil des "Kanons". Darüber, ob Dragon Ball GT, Dragon Ball SD, Dragon Ball Super, die Anime-Kinofilme und andere Manga- oder Anime-Produktionen zum "Kanon" gehören, kann mit dieser Definition allerdings keine Aussage getroffen werden. Darüber hinaus ist "Dragon Ball-Manga" auch keine eindeutige Angabe. Es ist unklar, ob damit die Erstveröffentlichung in der Weekly Shōnen Jump oder eine der späteren Editionen (wie Tankōbon, Kanzenban, usw.) gemeint ist. Es gibt nämlich Elemente, die sich zwischen den verschiedenen Versionen unterscheiden. Ein paar Beispiele: Gohan stellte sich in der Erstveröffentlichung von Kapitel 196 (Weekly Shōnen Jump 1988, #46) als dreijähriger vor, in der Tankōbon- und allen anderen späteren Veröffentlichungen desselben Kapitels behauptet er jedoch, er sei vier Jahre alt. Ebenso wurde Pilafs Handlanger in der Erstveröffentlichung von Kapitel 110 (Weekly Shōnen Jump 1987, #10) und der Tankōbon-Veröffentlichung "Shū" (シュウ) genannt, in der Kanzenban- und allen anderen späteren Veröffentlichungen desselben Kapitels heißt er dann jedoch, wie bei seinem ersten Auftritt in Kapitel 18, "Soba" (ソバ). Die Kanzenban-Edition enhält eine von Akira Toriyama etwas veränderte Version von Kapitel 519. Welche Mangaversion wäre also Teil des "einzig wahren Kanons"?

Man liest auch häufiger von der Definition, dass alle Elemente, die von Akira Toriyama stammen, Teil des "Kanon" seien. Von dieser Definition auf einen vollständigen "Dragon Ball-Kanon" zu schließen, ist allerdings so gut wie unmöglich, da im Detail häufig gar nicht (öffentlich) bekannt ist, welche Elemente genau von Toriyama stammen. Man weiß, dass Toriyama für Dragon Ball GT, Dragon Ball Super und diverse Anime-Filler bzw. Anime-Kinofilme diverse Character-Designs angefertigt hat, da einige davon später auch in Guidebooks, wie den Daizenshū, veröffentlicht wurden. Eine vollständige Liste, von der abgeleitet werden kann, welche Designs nach dieser Definition zum "Kanon" gehören (und welche nicht) existiert allerdings nicht. Für Dragon Ball Super fertigte Toriyama Story-Entwürfe an, auf deren Basis Toyotarō den Dragon Ball Super-Manga und Toei Animation die Dragon Ball Super-Animeserie produzierten. Da diese Entwürfe allerdings nie veröffentlicht wurden, kann mit dieser Definition nicht bestimmt werden, welche Dragon Ball Super-Elemente zum "Kanon" gehören, und welche nicht. Ähnliches gilt für Naho Ooishis Dragon Ball SD, Dragongarow Lees Dragon Ball Gaiden, oder das Jump Super Anime Tour-Special von 2008, da auch hier Details zu Toriyamas Beteiligung öffentlich nicht bekannt sind. Noch komplizierter wird es bei Elementen wie Bardock, Broli, Beerus oder Super Saiyajin God, die ursprünglich nicht von Toriyama stammen, aber später von ihm übernommen und überarbeitet wurden. Und auch hier stellt sich wieder die Frage, welche der unterschiedlichen Versionen von Toriyamas Dragon Ball-Manga nun Teil des "Kanons" wäre.

Eine weitere ziemlich geläufige Methode ist es, den "Kanon" als Synonym für Kontinuität darzustellen. Man nimmt eine bestimmte Geschichte als Basis, die als Teil des "Kanons" definiert wird, und alle weiteren Elemente, die dieser nicht widersprechen sind nach dieser Definition dann ebenfalls Teil des "Kanons". Aber genau genommen sind "Kanon" und Kontinuität eben nicht ein und dasselbe und können nicht synonym verwendet werden. Abgesehen davon gehört es zu Toriyamas Stil - es ist fast eines seiner Markenzeichen - (vermeintliche) Widersprüche bzw. Lücken in seine Geschichten einzubauen und diese, wenn überhaupt, erst später durch den weiteren Verlauf der Story aufzulösen.

Ich bin auch schon auf eine "Neu überschreibt Alt"-Definition gestoßen, nach der im Zweifelsfall immer das neueste Element Teil des "Kanons" wäre. Nach dieser Definition hätte jedoch beispielsweise Dragon Ball SD bereits etliche Elemente aus Akira Toriyamas Dragon Ball-Manga überschrieben...
All die oben genannten Definitionen versuchen also mit bestimmten Regeln einen offiziellen, allgemein gültigen "Kanon" herzuleiten, da offensichtlich kein "offizieller Dragon Ball-Kanon" existiert. In großen Franchises, wie beispielsweise Star Wars, wird von offizieller Seite festgelegt, welche Bücher, Filme, etc. zu dessen "Kanon" gehören, und welche nur eine untergeordnete Rolle spielen und daher vernachlässigt werden können. Bei Dragon Ball existiert eine solche Unterscheidung nicht. Weder Akira Toriyama, noch Shueisha oder Toei Animation haben jemals einen "offiziellen Kanon" zu den Manga-Bänden, Anime-Episoden, Kinofilmen oder Videospielen definiert. Jeder Fan kann also selbst entscheiden, welche Elemente zu seinem "persönlichen Kanon" zählen. So etwas wie einen allgemein für Jedermann gültigen "offiziellen Dragon Ball-Kanon" gibt es jedenfalls nicht.




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