Kazuhiko Torishima über die Arbeit mit Akira Toriyama

Beitrag von Matt @Matt@m.bratpfannenberg.com

In der insgesamt 16. Ausgabe des BANZAI!-Magazins (2003 #02) von Carlsen Manga! wurde vor mittlerweile fast 11 Jahren ein sehr interessanter Artikel abgedruckt, in dem der ehemalige Redakteur Kazuhiko Torishima über die Manga-Anfänge von Akira Toriyama berichtet.

Cover der BANZAI! 2003, #02
Die darin erwähnten Manga Wonder Island, Girl-Keiji Tomato und Dragon Boy werden übrigens in der Reihe Toriyama Short Stories, die Ende Mai 2014 starten wird, auf Deutsch von Carlsen Manga! veröffentlicht werden.
Begegnet bin ich Akira Toriyama 1978 [im originalen BANZAI!-Artikel stand fälschlicherweise 1976] als Jurymitglied im Rahmen der monatlich stattfindenden Wettbewerbe für den besten Newcomer. Bei diesen Veranstaltungen werden pro Monat 500.000 Yen (ca. 4.200 Euro) an Preisgeldern für Manga-Manuskripte vergeben, die uns aus ganz Japan Monat für Monat erreichen. Drei bis vier für den jeweiligen Monat zuständige Redakteure sichten das Material und vergeben die Preise. Es gibt Monate, da wird ein Preis vergeben, in anderen Monaten nicht. Was ich sagen will, ist, dass sich unter all den Mangaka, die ihre Manuskripte einreichen, immer wieder verborgene Talente befinden. Wenn ein Redakteur den betreffenden Manga herausgeben möchte, nominiert er ihn. Sollte ein Werk von mehreren Redaktionen nominiert werden, wird per Los entschieden. Die erste Begegnung zwischen Autor und Redaktion ist also eine sehr spontane und zufällige Angelegenheit.

Dass ich damals Toriyama-san nominiert habe, war reiner Zufall, denn ich war in einem Monat, in dem er ein Manuskript eingereicht hatte, in der Jury. Dass ich sein Manuskript ausgewählt habe, war allerdings unvermeidlich. Es hat mich förmlich angesprungen.

Titelseite von Nazo no Rain Jack (謎のレインジャック, 1978)

Nun ja, die Soundwords waren Englisch und nicht wie üblich auf Japanisch. Es war außerdem ein sehr sauberes Manuskript. Die Story war eine Parodie auf Star Wars, ein Thema, das ich sehr mag. Den Preis hat der Manga trotzdem nicht gewonnen, weil eine Parodie auf Star Wars in Magazinen nicht erscheinen durfte.

Darum habe ich ihm ein Telegramm geschickt, in dem stand: "Sie haben großes Talent. Bitte rufen Sie mich umgehend in der Redaktion an!" Toriyama-san sagte später, dass ich zu diesem Zeitpunkt der einzige war, der ihm Talent bescheinigte. Und ich war auch der einzige, der ihn als Redakteur betreuen wollte. Offenbar fand keiner meiner erfahreneren Kollegen seine Manuskripte interessant genug. Kurz darauf rief mich der damals 21-jährige Toriyama-san an. Das war 1978. Er erzähle mir, dass er Illustrator und Designer sei und gerade bei seiner alten Firma gekündigt habe. Da er etwas zeichnen könne, wolle er sich seinen Lebensunterhalt nun mit Manga verdienen, auch um seinen Eltern ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Ich sagte ihm, dass ich großes Interesse an seinen Manuskripten hätte und ihn gern betreuen würde. Und natürlich bat ich ihn noch um ein Konzept für einen neuen Manga: Inhalt des Manga, Skizzen der Hauptcharaktere und eine Kostprobe des Seiten- und Panel-Layouts.

Ein Mangaka-Newcomer, der einen Redakteur gefunden hat, muss versuchen, seine Werke in Magazinen unterzubringen. Er muss dafür sorgen, dass Leser und Chefredakteure seine Existenz als Autor wahrnehmen und beweisen, dass seine Manga interessant sind und somit ein Zugpferd für das Magazin werden könnten. Die Aufgabe des betreuenden Redakteurs ist es, ihn dabei zu unterstützen und die Manga zusammen mit ihm zu produzieren.

Als Vertragszeit habe ich Toriyama drei Jahre versprochen. Aus dem, was ich in der Redaktion mitbekommen hatte, wusste ich, dass ein wirklich talentierter Newcomer es im Allgemeinen in diesem Zeitraum schaffen kann, eine Serie zu veröffentlichen und populär zu werden.

Das Konzept kam bereits eine Woche, nachdem ich es angefordert hatte. Es war sauber ausgearbeitet, das im Unterschied zu den Arbeiten anderer Mangaka weit über den üblichen Rahmen eines Konzepts hinausging. Toriyama wusste damals noch nichts von der Herstellung eines Manga und hatte die Manuskripte, die er einreichte, einfach nach dem Vorbild der in den Magazinen abgedruckten Manga praktisch in druckfertiger Form gezeichnet, anstatt zunächst nur grobe Skizzen anzufertigen. Darüber hinaus waren seine Zeichnungen noch besser geworden und die Story war wirklich amüsant.

Sein neues Werk trug den Titel Wonder Island und handelte von einer geheimnisvollen Insel, auf der Tarzan, ein Vampir und Hexen leben, zu denen sich ein japanischer Soldat aus dem Zweiten Weltkrieg gesellt. Es wurde tatsächlich veröffentlicht, weil es dem damaligen Chefredakteur irgendwie gefiel. Anfängerglück?

Doch dann kam das Ergebnis der Leserbefragung: unterster Rang auf der Beliebtheitsskala! Von da an ging es sehr schleppend. Für zwei Neulinge wie uns war es quasi unmöglich aus dem Stand einen interessanten Manga zu produzieren, egal wie viel wir über die formalen Dinge der Herstellung wussten. Nachdem Toriyama-san den ersten Entwurf des Konzepts geschickt hatte, gab ich ihm telefonisch meine Änderungsvorschläge durch, danach schickte er den neuen Entwurf usw. Über zwei Jahre lang blieben wir zwar ständig in Kontakt, aber ansonsten verstrichen diese ersten beiden Jahre unseres Vertrages ohne nennenswerte Ergebnisse.

Toriyama-san und ich haben uns während dieser Zeit sehr viel Wissen über Manga angeeignet und wurden nach und nach zu richtigen Profis. Unsere Produktionen wurden immer unterhaltsamer und das stimmte uns zuversichtlich. In dieser Phase lernten wir vor allem zwei Dinge:

Erstens: das Komawari (Seiten- bzw. Panel-Layout, wörtlich übersetzt: "Zerlegen in Einzelbilder"), einer der auffälligsten Unterschiede zwischen japanischen Manga und dem amerikanischen Comic. Koma (Panels) mussten als Grundelemente des Manga auf einer Doppelseite so arrangiert werden, dass die Handlung sofort eingängig ist. Das ist das Grundprinzip japanischer Manga. Dabei sollte das erste Panel eine Verbindung zum zweiten herstellen, dieses wiederum sollte das voran-gehende Panel aufgreifen und die Verbindung zum nächsten herstellen etc. Das Auge des Lesers folgt diesem Fluss ganz automatisch und beginnt, immer schneller über die Seiten hinweg zu fliegen. Und genau dieser "Geschwindigkeitsrausch" ist das Besondere der japanischen Manga. Ein geübter Manga-Leser kann auf diese Weise ein 400-seitiges Magazin ohne Probleme in 30 Minuten bewältigen.

Das Zweite, was ich gelernt habe, ist die große Bedeutung der Charaktere, vor allem der Hauptcharaktere. Von ihnen lebt ein Manga, egal wie viele andere Figuren darin noch erscheinen. Leser denken sich gerne in die Hauptcharaktere hinein. Stellt euch vor, ihr könntet die unterschiedlichsten Abenteuer bestehen, an ihnen wachsen und immer stärker werden, so wie Son Goku! Ich glaube, es gibt wohl nichts Interessanteres. Wenn andererseits der Held, mit dem man sich identifiziert, schwach, lieblos und ohne Ausstrahlung ist, mag man sich ja quasi selbst nicht, oder?!

Mit der Zeit lernten Toriyama und ich immer mehr über diese beiden Aspekte. 1979 hatte Toriyama-san rund 500 Seiten gezeichnet, und dann wurde Dr. Slump geboren. Ich fand das Mädchen, das in seinem ersten Manga ab und an aufgetreten war, unglaublich süß und reizvoll, deshalb hatte ich ihn mehrfach gebeten, doch mal einen Manga mit einer weiblichen Hauptfigur zu zeichnen. Aber er hatte dies immer abgelehnt, weil es ihm peinlich war, weibliche Charaktere zu zeichnen. Ich machte ihm den Vorschlag, es nur ein einziges Mal mit einer Heldin zu probieren. Falls es bei den Lesern nicht ankommt, würde ich ihn für immer damit in Ruhe lassen.

Daraus wurde der Manga Gyaru-Keiji Tomato (Übers.: "Kriminaldetektivin Tomato").

Fast zur gleichen Zeit war das erste Konzept von Dr. Slump fertiggestellt.
Gleich im ersten, übrigens sehr lustigen Teil, tauchte dieses kurzsichtige Mädchen auf, und ich schlug Toriyama-san sofort vor, daraus die Hauptfigur des Manga zu machen. Natürlich war er dagegen. Aber dann kamen die Ergebnisse der Leserumfrage, und sie bescheinigten dem Manga große Popularität. Das Resultat war, dass wir übereinkamen, die besagte weibliche Figur als Roboter zur Heldin von Dr. Slump zu machen, und auch dieser Manga wurde glücklicherweise als Serie veröffentlicht. Beim Titel entschlossen wir uns, es beim Spitznamen von Senbei Norimaki, dem Erfinder und Adoptivvater von Arale Norimaki, zu belassen. Denn das war das einzige bescheidene Detail, auf dem Toriyama-san trotzig beharrte. So kam die Serie Dr. Slump zu ihrem Namen!

Das dritte Jahr brach an und das Ende unseres Vertrages rückte näher. Eine kurze Zeit lang war ich erleichtert, dass ich mein Versprechen ihm gegenüber hatte halten können, nur um mich dann auch schon wieder ins nächste Projekt zu stürzen.

Dr. Slump besteht aus abgeschlossenen Kurzgeschichten, was man bei uns Ichiwa Kanketsu nennt. In jeder Wochenausgabe des Magazins erschien also eine 15-seitige Kurzgeschichte. Bald gingen uns die Ideen aus, und das bei der Beliebtheit der Serie!
Toriyama-san produzierte rund um die Uhr Manuskripte, was selbst für ihn, der als ehemaliger Angestellte einiges an Stress gewohnt war, ganz schön hart gewesen sein muss. Die Serie einfach zu beenden, war uns auch nicht erlaubt. Denn im zweiten Jahr seines Erscheinens wurde der Manga als Anime umgesetzt und erreichte Einschaltquoten von 40%. Dr. Slump war etwas Besonderes, wirklich jeder Japaner kannte die Serie. Ich habe trotzdem versucht, mit dem Chefredakteur über ein Ende der Serie zu verhandeln. "Das kommt nur in Frage, wenn ihr einen neuen Manga habt, der Dr. Slump noch übertreffen kann!", antwortete er. Nach eingehender Beratung mit Toriyama-san beschlossen wir, das Unmögliche zu wagen.

Es gab nur einen Weg: Wir mussten eine andere Serie von abgeschlossenen Kurzepisoden produzieren und die Leser dafür begeistern. Da Dr. Slump natürlich weiter lief, blieb uns nichts anderes übrig, als beides mit einem gestrafften Zeitplan zeitgleich zu machen, was wiederum bedeutete, Tag und Nacht zu arbeiten. Besonders in den langen Nächten vor einer Abgabe, hielt uns oft nur noch ein Gedanke aufrecht: "Ein einziger Hit, und wir können dieser Tretmühle entrinnen!" Dass wir diesen Berg an Arbeit trotzdem bewältigt haben, hatten wir unserem "unproduktiven" ersten gemeinsamen Jahr zu verdanken. Wir hatten noch die 500 Seiten abgelehnter Manuskripte, die Toriyama-san damals gezeichnet hatte. Während der Produktion der neuen Folgen von Dr. Slump versuchten wir es also alle paar Monate nebenbei mit einem neuen Manga-Entwurf. Wir setzten eine Story um und warteten die Reaktion der Leser ab. Nichts! Also eine neue Story zeichnen! Wieder nichts!

Doch dann geschah es: Ich fuhr damals ab und an zu Toriyama-san nach Nagoya, weil ich von Angesicht zu Angesicht mit ihm sprechen wollte. Seine Frau servierte uns dann Tee und wir redeten über Gott und die Welt. Eines Tages erzählte er mir, dass er beim Arbeiten immer Videos anschauen würde. Ich traute meinen Ohren nicht: Beim Manga-Zeichnen Musik zu hören, das konnte ich ja noch verstehen, aber wie kann man zeichnen während man dabei irgendwo anders hinschaut?!

Also fragte ich ihn danach, und seine Erklärung leuchtete mir sofort ein. Toriyama-san sah sich nämlich hundertmal hintereinander seine Lieblingsfilme auf Video an. So erkannte er schon am Text der Schauspieler, wenn eine seiner Lieblingsszenen kam, und ließ nur dann die Arbeit kurz ruhen, um sie sich anzusehen. Ich war beruhigt.

Toriyama-san erzählte mir, seine Leidenschaft seien Kung-Fu-Filme mit Jackie Chan, dessen Humor und auch Bewegungen er einfach umwerfend finde. Ich fragte ihn, warum er nicht mal einen Kung-Fu-Manga zeichne, wenn er Jackie Chans Kung-Fu-Filme so sehr möge. Kurze Zeit nach diesem Gespräch schickte er mir das Konzept des Manga Dragon Boy. Die Hauptfigur war charismatisch, ihre Bewegungen gut gezeichnet. Und tatsächlich: Der Manga wurde sofort im Magazin veröffentlicht!

Dragon Boy wurde wahnsinnig beliebt und Dr. Slump wurde nach zwei Jahren und acht Monaten eingestellt. Danach hatten wir noch genau zwei Wochen Vorbereitungszeit für Dragon Ball, das nur drei Monate später als Serie veröffentlicht wurde. Mir wird heute noch schwindelig, wenn ich an den Stress damals denke. Toriyama-san arbeitete in dieser Zeit hochkonzentriert und hielt alle von mir gesetzten Termine ein. Die Serie Dragon Ball wurde von 1984 an über die folgenden elf Jahre bis 1995 fortgesetzt, und auch über diese Zeit gäbe es viel zu erzählen. Aber dazu ergibt sich vielleicht ein anderes Mal die Gelegenheit.





Quelle: BANZAI! 2003, #02

Zuletzt geändert:

Kommentare:

Zurzeit können keine Kommentare zu diesem Post hinterlassen werden.